DEUTSCHE BÖRSE PHOTOGRAPHY FOUNDATION

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Notes on Society

Andrea Treber, Art & Culture, Deutsche Börse Photography Foundation

Smartphones with integrated camera have become completely normal, everyday items for people in the 21st century, with serious implications: The possibility of spontaneously capturing events, however trivial, in pictures and sharing them with others seems too tempting to resist. Swamped by an incessant flow of information, we isolate individual photographic moments everywhere we look with minimum effort, and in this way give them special meaning. The response of the art world to this most recent epic deluge is ambivalent: Whereas some consider it inflationary, overwhelming and vulgar, others see in it an expression of democratic, creative and self-reflective dynamism.

The photographs in Sandra Mann’s “Daylife” series taken between 1999 and 2008 also seem to show moments from her everyday life at first glance. The camera is the young German photographer’s constant companion. The result is a large store of visual impressions as she wanders through streets, cafés, art galleries or shopping malls, in her home town of Frankfurt and abroad. Yet her eye is constantly searching, and she adopts a humorous, but also critical attitude to her motifs by picking out curious, accidental compositions. Like the wall of an old house with crumbling plasterwork, in which a hole the shape of the African continent has been accurately labeled as such by a passer-by, alluding with tongue-in-cheek humor to contemporary street art.

Urban motifs shape the mood in “Daylife”; everyday objects, fashionable garments, advertising media, shop windows and hilarious moments with friends all suggest a reflective, creative mind. Mann usually concentrates on a few shapes and colours; their proximity to the camera makes her pictures seem both personal and easily comprehensible. But what makes them so fascinating is her ability to adapt familiar objects so that they invoke key questions of our time regarding interpersonal relationships, consumption, urban space or gender constructions in the viewer’s mind. Paul Celan once defined poems as “gifts to the attentive”. Photography also has the power to reveal unexpected insights into our society through everyday details. Sandra Mann’s art attests to this.

from: XL Photography 5, Art Collection Deutsche Boerse, Kehrer Verlag Heidelberg Berlin, 2015


Gesellschaftsnotizen

by Andrea Treber, Kunst und kultur, Deutsche Börse Photography Foundation

Das Smartphone mit integrierter Kamera ist für den Menschen des 21. Jahrhunderts zu einem völlig alltäglichen Gebrauchsgegenstand geworden – mit gravierenden Auswirkungen, denn die Möglichkeit, noch so triviale Begebenheiten spontan in Bildern festzuhalten und auf dieser Weise anderen davon zu berichten, scheint allzu verführerisch zu sein. Aus dem unaufhörlichen Strom an Informationen, die unsere Augen erreichen, lösen wir mit minimalem Aufwand an allen denkbaren Orten einzelne Bildmomente heraus – und sprechen ihnen dadurch eine Bedeutung zu. Die Perspektiven der Kunstwissenschaft auf diesen jüngsten epochalen Dammbruch sind ambivalent: Von einigen als inflationär, überfordernd und vulgär bewertet, sehen andere darin einen Ausdruck demokratischer, kreativer und selbstreflexiver Dynamiken. Auch die Fotografien der Serie „Daylife“ der jungen deutschen Fotografin Sandra Mann, die zwischen 1999 und 2008 entstanden sind, geben auf den ersten Blick Aufnahmen des Alltags wieder. Die Kamera ist ihr ständiger Begleiter. Dadurch entsteht ein großer Fundus an visuellen Eindrücken, während sie auf Straßen, in Cafés, in Kunstgalerien oder Einkaufszeilen, in ihrer Heimat Frankfurt oder im Ausland unterwegs ist. Jedoch ist ihr Blick ein suchender, der mittels kurioser Zufallskompositionen eine humorvolle, aber nicht unkritische Haltung zu ihren Motiven einnimmt. Wie eine alternde Hauswand, an der der Putz just in der Form des afrikanischen Kontinents abgebröckelt ist, und die – mit augenzwinkernder Referenz an zeitgenössische Street-Art – von einem Passanten so treffend beschriftet wurde. Urbane Motive prägen die Atmosphäre in „Daylife“; Dinge des täglichen Gebrauchs, textile Mode, Werbeträger, Schaufenster oder ausgelassene Momente mit Freunden verweisen auf einen reflektierten, schöpferischen Geist. Zumeist konzentriert Mann sich auf wenige Formen und Farben; durch die räumliche Nähe zum Kameraauge wirken die Aufnahmen persönlich und gleichzeitig leicht lesbar. Die große Faszination dieser Bilder liegt bei alledem in ihrem Vermögen, das Gewöhnliche so zu adaptieren, dass im Betrachter zentrale Fragen unserer Zeit zu zwischenmenschlichen Beziehungen, Konsum, städtischem Raum oder Geschlechterkonstruktionen aufgerufen werden. Als eine Gabe an die Aufmerksamkeit hat Paul Celan einmal die Dichtung bezeichnet. Die Kraft, anhand alltäglicher Details unverhofft Einsichten über unsere Gesellschaft zu offenbaren, liegt auch in der Fotografie. Die Kunstwerke Sandra Manns zeugen davon.

aus: XL Photography 5, Art Collection Deutsche Boerse, Kehrer Verlag Heidelberg Berlin, 2015

Sandra Mann